Dienstag, 4. November 2014

Sieben Sprünge vom Rand der Welt
Ulrike Draesner 2014


Die angesehene Professorin für Verhaltensforschung, Simone Grolmann, 52 Jahre, beobachtet Affen: in ihrer Heimat und im Gehege des Instituts. Sie erkennt feine Unterschiede, versetzt sich in die Tiere hinein und entdeckt Parallelen zu ihrer eigenen Familiengeschichte.
Die Grolmanns wurden 1945 aus Schlesien vertrieben – mitten im tiefsten Winter mussten sie unter Lebensgefahr mit wenig Gepäck tage- und nächtelang wandern. Obwohl Simone erst 17 Jahre später geboren wurde, verfolgt die Angst vor Schnee und Kälte sie noch heute. Werden Erfahrungen wie Flucht und panische Ängste vererbt? Simone sucht nach Antworten, auch bei ihrem Vater Eustachius, den schreckliche Erinnerungen an die Vertreibung quälen, und der sich eine gewisse Härte im Alltag antrainiert hat.

Die Schicksale zweier Familien werden über vier Generationen und ca. 100 Jahre hinweg hin sehr poetisch und vielfältig erzählt. Immer wieder geht es um Vertreibung, Neubeginn und die seelischen Folgen.

Ulrike Draesner, geb. 1962 in München, studierte Rechtswissenschaften, Anglistik, Germanistik und Philosophie. Sie promovierte, gab aber ihre wissenschaftliche Laufbahn 1993 auf und lebt seit 1994 erfolgreich als freie Schriftstellerin. Der vorliegende Roman stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2014.

Mich hat das Buch über weite Strecken hin sehr fasziniert. Am allerbesten gefiel mir der geniale Prolog, der aus der Perspektive des kleinen „Stach“ geschrieben ist, der noch gar nicht richtig einordnen kann, welches Drama gerade in Gang ist. Es folgen noch viele weitere schöne Stellen. Doch was mich grundsätzlich störte, war der distanziert-wissenschaftliche Blick auf die Menschenaffen und ihr „äffisches Wesen“ – das fand ich wenig wertschätzend. Die Erkenntnisse aus der Beobachtung der Affen dagegen fand ich sehr interessant und gut recherchiert. 
Stellenweise war der Erzählstil durch die wechselnden Perspektiven etwas anstrengend, aber das Durchhalten wurde immer wieder belohnt.

Fazit: ein interessantes, vielfältiges, auch mutmachendes und positives Buch über ein trauriges Thema, das viele Deutsche bis heute bewegt.
Von mir 4 von 5 Sternen!